Johannes Kopp: Gebet als Selbstgespräch
Gebet und Koan als Beziehung zu Gott in mir
Eine Buchbesprechung von Regina Grünholz
Der deutsche Pallotinerpater Johannes Kopp (1927–2016) wirkte unter dem japanischen Namen Ho-un-Ken Roshi viele Jahre in Deutschland als Zen-Meister und gehörte zusammen u.a. mit unseren Gründern Pia Gyger und Niklaus Brantschen zur ersten Generation christlicher Zen-Lehrer, die durch das Beispiel Hugo Enomya-Lassalles motiviert in Japan ihre Zen-Schulung erhielten; Lassalle, der ja unserer Kontemplationsschule den Namen gibt. 1985 erlangte Kopp durch Yamada Koun Roshi in Kamakura, Japan, die Lehrbefähigung. 2006 bestätigte der heutige Leiter von Sanbo-Zen, Yamada Ryoun Roshi, seine Ernennung.
Das vorliegende Buch Gebet als Selbstgespräch, erschien 2015, also ein Jahr vor seinem Tod. Ausgangspunkt für das Buch war eine Frage, die während der Veranstaltung „Tag der Priester und Diakone im Bistum Essen“ im Jahr 2014 an Kopp gerichtet wurde: Wie sei die These eines Mitbruders zu verstehen, daß die Heilige Schrift, sollte sie zu einer Glaubenserfahrung führen, sich nur über den Koanweg erschliesse? Dies in Worte zu fassen, hat ihm sein Lehrer, Yamada Koun Roshi, aufgetragen. Und diese Frage zu behandeln ist auch Ziel seines vorliegenden Buchs.
Dem Mystiker ist es eine den Verstand transzendierende Wahrheit in der kontemplativen Innenschau, sein Wahres Selbst und seine Gottebenbildlichkeit zu erkennen. Je weiter der Übende auf seinem Weg zur Wahrnehmung des göttlichen Geheimnisses in sich selbst fortgeschritten ist, desto intensiver wird seine Gotteserfahrung werden. „Je mehr er sich selbst auf den Grund kommt, desto mehr leuchtet in diesem Grund die unendliche Wirklichkeit durch, in der in christlicher Offenbarung Gott sich erfahren lässt.“ Kopp hält auch folgendes fest: „Die unendliche Wirklichkeit, die in größter Wortscheu in jüdisch-christlicher Tradition Gott genannt wird, ist in der menschlichen Natur angelegt. Besser gesagt: Die menschliche Natur ist auf Gott hin angelegt.“ Und: „Die Anerkennung der unendlichen Wirklichkeit in der jedem Menschen eigenen Wesensnatur ist Voraussetzung für den ersten Schritt auf dem Zen-Weg. …. Ohne den Glauben, dass die unendliche Wirklichkeit in uns ist, ist der Zen-Weg unmöglich [dem Sinne nach zitiert]. … In christlichem Verständnis ist die Anonymität der unendlichen Wirklichkeit aufgehoben mit der offenbarten Wahrheit als Bild und Gleichnis Gottes. Diese Aussage erhebt den Menschen zu seiner unendlichen Würde, weil Größeres vom Menschen nicht gesagt werden kann. … Mit diesem Verständnis ist Selbstfindung gleich Gottfindung, ist jedes Gebet zu Gott Selbstgespräch.“
Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis müssen die limitierenden Grenzen des Verstandes mit seinen Gedanken überwunden bzw. umgangen werden. Umgangen in dem Sinne, dass man sich als Übender in die achtsame Wahrnehmung seines Atems und damit seiner Selbst begibt, dass man übt, durch schweigendes, absichtsloses, geschehen-lassendes Sitzen und stete Zurückführung der Achtsamkeit auf den Atem im Hier und Jetzt zu verweilen und zu verbleiben. Es ist der Weg des Zazen, der die „Methodik“ dazu liefert, denn Zen ist keine Religion, so Kopp, sondern ein Selbststudium zu meiner Vollendung. … „Zen ist das eigentlich Religiöse in jeder Religion“.
Im 1. Kapitel Schweigen und Reden zeigt der Autor auf, wie die Grenzen des Verstandes überwunden werden können. Das Schweigen ist nicht absolut und keineswegs immer gut und weise. Denn es sei töricht zu schweigen, wenn Reden angebracht, und töricht zu reden, wenn Schweigen angebracht sei.
Für Kopp ist Zen, dieser in der japanischen Tradition schwierige und ‚harte‘ Weg, keineswegs nur für starke Menschen geeignet. Denn Zen konfrontiert unweigerlich jeden mit der Erfahrung eigener Schwachheit. Kopp beschreibt dies am Beispiel zweier, über viele Jahre auf dem Krankenlager meditierender Nonnen.
Die Koanweise bildet auch einen neuen Zugang zu biblischen Inhalten, weil sie die alten Texte, mit deren Aussagen und gängigen Interpretationen heute viele moderne Menschen ihre Mühe haben, aus der Ebene des ausschliesslich rationalen Verstehens in eine existentielle Dimension hebt. Zum Koan schreibt Kopp, dass es „den Durchbruch zur unendlichen Wahrheit eines jeden Menschen [meint], die die Ratio nicht erfassen kann, weil sie nicht das Instrument dafür ist, die aber erfasst werden muss, damit der Sinn des Daseins erfüllt wird. Solange man diesem Sinn nicht nahekommt, solange bleibt Unruhe. … Daraus ergibt sich für den Christen eine Konsequenz: die Bibel zu werten und zu lesen als eine Koan-Sammlung.“
Im 2. Kapitel Selbstfindung und Gottfindung legt der Autor dar, dass wir heute in der Ausbildung und in unserem Tun zu sehr auf das „Was?“ getrimmt sind und das „Wie?“ kultivieren müssten zu unserer eigenen Heilung und der Heilung der Welt. Mit dem Leben aus dem „Wie?“ würden „die atomaren Kräfte (Kernkräfte) des Segens“ frei.
Das 3. Kapitel Zen und Eucharistie enthält Biografisches zum Verfasser und erzählt von der Freundschaft mit Pater Lassalle. Ausführlich geht Kopp auf das Verhältnis von Zen-Praxis und der Feier der Eucharistie ein. Kopp (wie Lassalle katholischer Priester) ist von diesem Thema unmittelbar und persönlich berührt; er erläutert, warum ihm wichtig sei, bei jedem Sesshin die Eucharistie zu feiern – so wie dies auch Lassalle mit dem Einverständnis Yamada Roshis tat.
Im 4. Kapitel Koan – Zugang zur Heiligen Schrift stellt Kopp die Forderung auf, dass „die christliche Katechese einen neuen Schwerpunkt bekommen [muss]. Sie muss wegkommen von der Belehrung, von dem Eifer, eine sogenannte objektive Wahrheit darzustellen. Sie muss hinkommen zu der Leidenschaft, in der derjenige, der sich in irgendeiner Weise für das Christliche interessiert, zu der Erkenntnis kommt, dass das Wesentliche in ihm selbst ist“.
Im 5. und 6. Kapitel Biblische Koans und Kommentare zu Koans aus dem Mumonkan zeigt Kopp beispielhaft, wie zum einen biblische Gleichnisse auf koanweise ‚verstanden‘ werden und umgekehrt, wie klassische Koans im Sinne der Bibel gedeutet werden können. Nicht alles, was man hier bei Johannes Kopp liest, ist auf Anhieb verständlich.
Es gibt Sätze in diesem Buch, die manchen Lesern vielleicht kryptisch erscheinen mögen, da sie sich nur in einer anderen Art von „Logik“ verstehen lassen. Wenn ich Gott suchen und schauen will, muss und kann ich mich auf den Weg dazu begeben: Es ist der Weg des Zen und der gegenstandslosen Kontemplation; er führt durch die Selbstfindung zur Gottesfindung. Somit ist es mir möglich im Gebet in mir mit Gott und Gott in sich mit mir zu sprechen.
Regina Grünholz, Mai 2018
via integralis-Lehrerin, Solothurn/CH
www.meditationsraum-yume.ch