Alles hat mit sozialer Arbeit angefangen
Hugo Lassalle wird am 11.11.1898 in Deutschland geboren. Unter dem Eindruck des 1. Weltkriegs tritt er 1921 in den Jesuitenorden ein. Nach Studium und Priesterweihe kommt er 1929 als Missionar nach Japan:
„Ich ging nach Japan mit zwei Ideen im Kopf: Im Armenviertel zu wohnen und Zen konkret und praktisch kennen zu lernen.“(Zitate aus H. Lassalle, Mein Weg zum Zen. Köselverlag, im folgenden als „H. Lassalle“ gekennzeichnet)
Wenig später bezieht er ein kleines Mietshaus in einem Slum, in dem Menschen, die 1923 beim großen Erdbeben Hab und Gut verloren haben, unter einfachsten Bedingungen leben. Zusammen mit ein paar Studenten organisiert er zunächst eine Kinderbetreuung mit Unterricht, Gesundheitsfürsorge und Kinderspeisung.
„Das Motiv für meine Arbeit im Armenviertel war geprägt durch die schlichte christliche Nächstenliebe, und die sollte nicht theoretisch bleiben, sondern in der Praxis konkret werden, im Leben mit den Armen.“(H. Lassalle)
Im Laufe der Zeit entsteht daraus ein stattliches Sozialwerk, das bis heute erfolgreich funktioniert Diese Aktivitäten betreibt Lassalle im Ehrenamt neben seiner Hauptaufgabe: die Lehrtätigkeit an der Sophia-Universität und die Verwaltung des Ordens.
Bis 1939 bleibt Lassalle in Tokyo, inzwischen Superior des Ordens für die Japan-Mission. Dann zieht er nach Hiroshima, wird Generalvikar des dortigen Bischofs. Auch hier ist es ihm wichtig, den Kontakt zu den Menschen nicht zu verlieren und lebt im Pfarrhaus in einem einfachen Quartier.
Unter dem Eindruck der Bombe
Sein Engagement für die Not der Menschen erhält am 6. August 1945 eine dramatische Wendung durch den Abwurf der Atombombe über Hiroshima. Die Folgen der Strahlendosis begleiten Lassalle sein Leben lang. Nach wenigen Tagen in einem Lazarett außerhalb der Stadt kehrt er zurück und hilft mit, die ärgste Not der Menschen zu lindern. Inzwischen wird auch die zweite Atombombe über Nagasaki gezündet. Der Schock sitzt tief. Lassalle notiert in jenen Wochen: Die Menschheit steht an einem Wendepunkt. Nie wieder Krieg!
Bald reift in ihm die Idee, am Ground Zero im Stadtzentrum eine Weltfriedenskirche zu errichten. Er reist in viele Länder, wirbt für Unterstützer und Sponsoren, gewinnt auch Papst Pius XII und die Ordensleitung. Der Bau kann beginnen. Am 6. August 1954 – 9 Jahre nach der Zerstörung Hiroshimas – wird die Kirche eingeweiht.
Das Projekt verbindet Christen und Buddhisten, schafft Bewusstsein für eine gemeinsame Verantwortung. Jährlich wird mitten in der Friedensmeile Hiroshimas der gemeinsame christlich-buddhistische Gedenkgottesdienst gefeiert.
Lassalles selbstloser Einsatz wird öffentlich anerkannt. Er bekommt Unterstützung durch das Kaiserhaus und erhält, für Ausländer unüblich, die japanische Staatsbürgerschaft zugesprochen und bekommt den japanischen Namen Enomiya Makibi. 1968 wird er zum Ehrenbürger Hiroshimas ernannt. Die für ihn persönlich bedeutendste Auszeichnung aber erhält er erst kurz vor seinem Tode: Sein langjähriger Zen-Meister Yamada Roshi hatte ihm den Ehrennamen Ai-Un reserviert, Wolke der Liebe.
Lassalle stirbt am 7.7.1990 im Alter von 92 Jahren in Münster/Westfalen. Sein Leichnam wird beigesetzt in der Weltfriedenskirche Hiroshima.
Begegnung mit dem Zen-Buddhismus
Lassalle schreibt über sein zweites Lebensthema:
„Zum Zen bin ich deswegen gekommen, weil dies eine typisch japanische Sache ist. Und weil Zen die Japaner und ihren Charakter sehr stark beeinflusst hat. Als ich also nach Japan gehen sollte, habe ich mir gesagt: ‚Wenn du das Zen richtig studierst, dann wirst du die Japaner besser verstehen’.“(H. Lassalle)
Schon in Tokyo nimmt er Kontakt auf zu verschiedenen Zen-Klöstern und ist gefragter Gesprächspartner für Buddhistische Mönche. Sein Interesse am Zen ist spiritueller nicht wissenschaftlicher Natur. Er will verstehen, warum für östliche Menschen die Erfahrung der Erleuchtung so zentral und wichtig ist. Er möchte diese Erfahrung mit ihnen teilen, um im Dialog mit ihnen besser über das Eigene und Einzigartige seiner, der christlichen Religion reden zu können. Aber noch ist unklar, ob Kensho für Christen überhaupt erreichbar ist, und ob sie, ohne ihr Christsein aufgeben zu müssen, dafür die Anerkennung einer buddhistischen Autorität bekommen können. Lassalle begibt sich auf einen neuen, bis dahin unbekannten, ja eigentlich verbotenen Weg, allerdings mit Zustimmung seiner Ordensleitung.
Im Februar 1943 absolviert er sein erstes Zen-Sesshin. Wenige Jahre später findet er für sein Interesse am Zen in Yamada-Roshi einen kompetenten Gesprächspartner und Lehrer. Dieser hatte sein Zen-Zentrum in Kamakura nicht nur für japanische Laien geöffnet, sondern auch für Interessierte aus dem Westen, auch für Christen. Lassalle wird sein Schüler.
Brückenbauer zwischen Ost und West – Pionier des Interreligiösen Dialogs
Seine Erfahrungen beim Meditieren vergleicht Lassalle immer wieder mit seiner christlichen Praxis als Jesuit und kath. Priester. In der Lektüre der christlichen Mystik des Mittelalters, Meister Eckhart u.a., findet er ähnliche Erfahrungen beschrieben, wie sie im Zen gemacht werden. Bis ins hohe Alter feiert er täglich die Eucharistie. Yamada gestattet ihm dies auch während der strengen Übungswochen in Kamakura.
In zahlreichen Vortragsreisen und Veröffentlichungen in Europa berichtet Lassalle von seinen Erfahrungen im Zen. Er stößt auf großes Interesse. Rom schaltet sich ein. Er wird mit der Zensur der Kurie konfrontiert, bekommt Auflagen. Die Ordensleitung aber steht hinter ihm. Als Generalvikar der Diözese Hiroshima und Berater seines Bischofs nimmt er am 2. Vatikanischen Konzil teil. Er ist optimistisch, denn er spürt, dass auch die Kirche einem Veränderungs- und Wandlungsprozess ausgesetzt ist, dem sie sich stellen muss.
Die spirituelle Suche vieler Menschen im Westen, nicht selten an der traditionellen Kirche vorbei, und ihr Interesse an authentischer Glaubens- und Gottes-erfahrung bestärken ihn in dieser Überzeugung. Immer mehr Menschen kommen zu seinen Meditations-Kursen. In Dietfurt im Altmühltal entsteht ein erstes Zen-Zentrum in Deutschland. Durch Lassalle angeregt kommen andere Europäer, nicht wenige Ordensleute, nach Kamakura, beginnen eine Zen-Ausbildung.
Wohin entwickelt sich die Menschheit?
Das Zazen ist für Lassalle ein geeigneter Rahmen, um moderne Menschen zu jener spirituellen Tiefe zu führen, in der sie wieder Zugang zu ihrer eigenen inneren Quelle finden und das Verbundensein mit allen Lebewesen in sich erfahren.
Das Thema Zen für Christen verbindet sich für ihn in den letzten Lebensjahren immer mehr mit der Frage nach der geistigen Entwicklung der Menschen, die nötig ist, dass die Menschheit mit der Technik des Atomzeitalters dauerhaft und in Frieden überleben kann. Es braucht einen Bewusstseinssprung für die Menschen in Ost und West, dass sie ihren Egoismus und ihr Machtstreben zugunsten einer gemeinsamen Entwicklung zurückstellen. Das große Interesse der Menschen an Meditation und am Austausch zwischen den geistigen Strömungen in Ost und West bestärkt ihn trotz zahlreicher Widerstände in seinem christlichen Optimismus für diese Welt.
Wenn sich die Lassalle-Zen-Linie und die Lassalle-Kontemplationsschule auf seinen Namen berufen, begeben sie sich auf den Pfad einer Übung, welcher den Weg nach Innen und das Engagement für die Menschen, das Bewährte in den Traditionen von Ost und West und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu einem Ganzen verbindet.
Persönliche Anmerkung: Ich bin Pater Lassalle nie persönlich begegnet. Trotzdem ruft er tief in mir eine starke Resonanz hervor, wenn ich seine Biografie lese, wenn ich von ihm erzählen höre von Menschen, die ihn kannten, oder wenn mir seine unglaubliche Wirkungsgeschichte in anderen Personen entgegenleuchtet. Mir wird bewusst, dass auch ich ihm viel zu verdanken habe. Bernhard Stappel