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Auf den Spuren des Taoismus

Helena Shang Meier

Ein Bericht von Helena Shang Meier und Hans Meier über ihre Reise in die Mongolei und nach China.

Die beiden Kontemplationslehrer Helena Shang und Hans Meier konnten in diesem Sommer an einer außergewöhnlichen 3-wöchigen Reise teilnehmen. Durch den Sprachvorteil von Helena als Übersee-Chinesin waren ihnen die einheimischen Informationen, auch Gespräche mit chinesischen Gesprächspartnern, voll zugänglich. Sie geben hier eine Zusammenfassung ihrer Eindrücke von der Heimat dieser reichen spirituellen Tradition wieder, die maßgeblich das Zen/Chan in China beeinflusst hat.

Mongolei

Das mongolische Reich nach den Eroberungen durch Dschingis Khan und seiner direkten Nachfahren erstreckte sich von Korea über einen Teil Russlands, Polens, Ungarn, Türkei bis nach Bagdad, Iran, Pakistan, Nordindien, China und den Ländern, die dazwischen liegen. Die Hauptstadt dieses damaligen Grossreiches, das von 1190 bis 1330 bestand, war Karakorum, das ca. 280 km westlich der heutigen Hauptstadt der äusseren Mongolei Ulan Bator liegt. Die kriegerischen Fähigkeiten dieser stürmenden nomadischen Reiter waren bekannt und seit der Zeit der Hunnen gefürchtet…

Auf unserer Reise haben wir den Ort dieser ehemaligen Hauptstadt besucht. Vom damaligen Machtzentrum sind vor allem religiöse Gebäude erhalten geblieben. Die Geschichte erzählt auch, dass Karakorum, benannt nach dem gleichnamigen Gebirge in Pakistan, der Knotenpunkt zwischen Ost und West war, wo auch komplette religiöse Toleranz herrschte.. Die Stadt wurde damals so angelegt, dass eine buddhistische Tempelanlage, ein taoistischen Tempel, eine islamische Moschee sowie eine christliche Kirche nah bei einander zu finden waren nebst Behausungen dieser Zeit. So bedeutsam war Karakorum, dass verschiedene Herrscher Europas sowie Pabst Innozenz der IV, Botschafter nach Karakorum geschickt haben…

Im späten 13. Jahrhundert setze sich der tibetische Buddhismus als Staatsreligion durch, obwohl heute noch viele Mongolen an ihren Schamanismus glauben. Zwischen 1937 und 1939 wurden in der Mongolei unter sowjetischen Herrschaft ca. sechs Tausend Klöster und Kultureinrichtungen zerstört. Nach dem zweiten Weltkrieg und mit der Unabhängigkeit der Mongolei erhielt der Buddhismus wieder grössere Freiheit und ist heute wieder deutlich sichtbar im Land. In Ulan Bator besuchten wir das Gandan Kloster und nahmen teil an einer Zeremonie mit ca. 500 weiteren Gläubigen und vielen Mönchen. Im benachbarten Tempel bestaunten wir eine riesige Statue (26,5 Meter hoch) der Göttin Janraisig (oder Bodhisattva des universalen Mitgefühls Avalokiteshvara), die 1996 mit Spendengeldern erneut aufgebaut wurde, wobei ca. 25 kg Gold mitverwendet wurde.

Unterwegs mit unserem mongolischen Reisebegleiter, ein Anthropologe und zudem Weltmeister in Ringen für die Gewichtsklasse 63 kg, staunten wir als er ganz begeistert von einem seit über 75 Jahren „verstorbenem“ Mönch zu erzählen begann, der als Heiliger im südlichem Siberien (nahe der mongolischen Grenze), verehrt wird. Er berichtete den Körper dieses in Meditationshaltung sitzenden Mönchs gesehen zu haben, der noch weich sei, und unerklärliche Zeichen einer gewissen Lebendigkeit noch von sich gebe. Zurück in der Schweiz fanden wir auf YouTube verschiedene Berichte darüber („Buddhismus in Siberien: Hambo Lama Daschi Dorscho Itigelow“ oder „ZDFInfo: das Phänomen zwischen Leben und Tod“).

Auch im kleinen Chojin-Lama Kloster in Ulan Bator, das seit 1942 als Museum geöffnet ist, hat es eine Kollektion von feinsten Thankas und Skulpturen, die die Zerstörungswut der 1930 Jahre überlebt hatte. Auch in kleineren mongolischen Ortschaften waren wir beeindruckt von gut erhaltenen und besuchten buddhistischen Tempeln mit ihren Gebetsmühlen.

China und der Taoismus

Als wir in Tianshui, Gansu Provinz, in Nordwesten von China ankamen, wo wir mit unserem chinesischen Taiji und QiGong Meister zum Training waren, hatten wir die Möglichkeit den FuXi Tempel zu besichtigen. Inmitten der hektischen Stadt, geniesst man die Klarheit und reine Luft der Tempelanlage mit über tausendjährige Bäumen, einem lieblichen Gartenanlage und weiten Plätzen. Auf einem marktähnlichen Vorplatz, übten Frauen und Männer in Gruppen Taiji, Tanz oder Gesang. FuXi ist einer der chinesischen Urkaiser, der die acht Trigramme des I-Ging (Buch der Wandlung) durch seine Meditation über Himmel und Erde vor 8000 Jahre begründet haben soll. Das Orakelbuch „I Ging“, dessen Anfänge zurück ins mythische Altertum reichen und deren Orakelsprüche fester Bestandteil in den Regierungsgeschäften der chinesischen Kaiser waren, ist ein Zeugnis der reifen Weisheit, die vor Jahrtausenden verarbeitet wurde.

Neben dem „I Ging“ gilt das „Daodejing“ (Tao-te-ching), als der bekannteste und populärste Klassiker, der dem chinesischen Weisen Laotse (Lao-tze) zugeschrieben wird. Dieser Text wurde verfasst in einer Zeit des politischen Verfalls der alten sozialen Ordnung. So sind viele Teile des Daodejing in Form von Ratschlägen an den Herrscher abgefasst. Ein weiterer äusserst bekannter Text des Taoismus ist das Zhuangzi (Chuang-tzu), benannt nach seinem Verfasser Chuang-tzu, und ebenfalls in dieser Zeitperiode geschrieben, wo die Macht der Armee ständig anwuchs und nackte Gewalt die Oberhand über die soziale Ordnung gewann. Der Stil des Zhuangzi ist humorvoll, ungezwungen, satirisch und anarchisch. Diese Schrift des geistigen Höhenflugs, gilt vielen Kennern als eines der grössten Meisterwerke der Weltliteratur.

Der nachstehende Spruch aus dem „Daodejing“ mit entsprechenden Kommentaren mögen uns einen Eindruck des Taoismus und seiner Philosophie geben!

Spruch 1 (aus „I Ging“ Übersetzung von Richard Wilhelm)
Das Tao, das sich aussprechen lässt, ist nicht das ewige Tao.
Der Name, der sich nennen lässt, ist nicht der ewige Name.
Nichtsein nenne ich den Anfang von Himmel und Erde.
Sein nenne ich die Mutter der Einzelwesen.
Darum führt die Richtung auf das Nichtsein zum Schauen des wunderbaren Wesens,
die Richtung auf das Sein zum Schauen der räumlichen Begrenztheit.
Beides ist eins dem Ursprung nach und nur verschieden durch den Namen.
In seiner Einheit heisst es das Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten.

Chuang-tzu lässt erfundene Gestalten namens Äther, Unendlich, Tatenlos und Anfangslos über das Tao diskutieren:

Äther fragte Unendlich: „Kennt Ihr das Tao?“ „Ich weiss nicht“ erwiderte Unendlich.
Er fragte Tatenlos das gleiche, und Tatenlos erwiderte: „ich kenne das Tao“
„Also kennt Ihr das Tao. Könnt Ihr es näher bestimmen?“
„Gewiss, ich weiss, dass das Tao hoch, niedrig, zusammengefasst oder zerstreut sein kann. Das sind einige Einzelheiten, die ich weiss.“
Äther berichtete Anfangslos von Tatenlos Worten und fragte: „So sagt also Unendlich, dass er nichts wisse, und Tatenlos sagt, dass er wisse. Wer hat recht?“
„Wer meint, er wisse nicht, ist tief. Wer meint, er wisse, ist seicht. Jener hat es mit der inneren Wirklichkeit zu tun, dieser mit der äusseren Erscheinung.“
Äther hob das Haupt und seufzte: „Dann weiss einer, der nicht weiss, in Wirklichkeit doch, und einer der weiss, in Wirklichkeit nicht. Wer kennt dieses Wissen ohne zu wissen?“
„Das Tao kann nicht gehört werden“, sagt Anfangslos, „ was gehört werden kann ist nicht das Tao. Das Tao kann nicht gesehen werden, was gesehen werden kann ist nicht das Tao. Vom Tao kann nichts gesagt werden, was gesagt werden kann, ist nicht das Tao. Begreift Ihr das, was in allen sichtbaren Dingen unsichtbar ist? Das Tao sollte nicht genannt werden.“
Und Anfangslos sagte: „Wenn einer auf eine Frage über das Tao antwortet, kennt er das Tao nicht. Sogar wer über das Tao fragt, hat das Tao nicht gehört. Über das Tao kann nichts gefragt werden, und auf diese Frage gibt es keine Antwort. Über das zu fragen, über das nicht gefragt werden sollte, heisst zu weit gehen. Eine Frage beantworten, die nicht beantwortet werden sollte, heisst die innere Wirklichkeit nicht erkennen. Wenn also diejenigen, welche die innere Wirklichkeit nicht erkennen, versuchen Fragen zu beantworten, haben solche Leute weder das Wirken des Alls beobachtet, noch begreifen sie die letzte Quelle. Darum können sie das Kunlun Gebirge nicht übersteigen und wandern im Reich der grossen Leere.

Helena Shang Meier und Hans Meier, November 2017