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Japanische Grüsse

Impressionen aus Japan

Monika Risse, Kyoto im Oktober 2018

Warum ich immer wieder nach Kyoto gehe, werde ich oft gefragt. Um es vorwegzunehmen: Nein, ich habe keinen Liebhaber da! Und es gibt Stimmen, die sagen, ich würde es machen, damit ich unsere unglaublich riesige Hecke im Herbst nicht schneiden müsste. Auch das ist nur der kleinste Teil der Wahrheit.

Auf Japanisch würde ich auf die Frage nach dem Warum erst einmal ein langgezogenes: „Sooo des neeeeeeeeeeeee…“ antworten, was in etwa heisst: „Hmmmm, lass mich mal darüber nachdenken…“.

Auch ich frage mich immer mal wieder, was es denn eigentlich ist, das mich hierher zieht. Und wenn ich dann da bin, ist die Antwort ganz einfach: Wegen dem Japangefühl! Das zu beschreiben ist schon etwas schwieriger, damit es nachvollziehbar wird, aber ich will es versuchen: Da sind erst mal die Menschen, die mir so freundlich, aufmerksam und achtsam erscheinen. Ein Nicken als Radfahrer oder Fussgänger als Zeichen: Ich habe wahrgenommen, dass du mir den Vortritt lässt, oder dass ich dir gerade den Weg abgeschnitten habe. Und entgegen dem Klischee erlebe ich die Menschen in Kyoto entspannter als bei uns, auch wenn ich natürlich in vieles nicht hineinsehen kann. Und die unglaublich freundliche Bedienung überall! Es kann einem schon auch Mal zu viel werden, dieses Omnipräsente: Iraschaimaseeee! Das einem überall in den Läden entgegengerufen wird. Aber trotzdem, hier fühle ich mich tatsächlich als Kunde noch als König. Und das Schöne ist, sie wollen einem überhaupt nichts aufschwatzen. Du kannst in Ruhe deine Sachen anschauen…

Kyoto ist absolut geschichtsträchtig! Hier bin ich umgeben von unzähligen alten Tempeln (ca. 1‘600!) und Gärten, eingebettet in einen grünen Ring aus Hügeln (was den Sommer unerträglich heiss und feucht macht, aber die alte Kaiserstadt etwas vor Taifuns schützt). Diese Tempel sind eine Oase der Ruhe, der Einkehr und Schönheit! Sofern man nicht einen dieser fünf Tempel besucht, den alle 1‘000 Touristen gleichzeitig auch besichtigen wollen. Das Motto in Kyoto ist für mich: Geh auf Nebenstrassen durch Gässchen und Strassen und suche dir Tempel am Stadtrand.

Was ich dieses Jahr wieder für Neuentdeckungen gemacht habe! So wie letzten Sonntag, als ich eigentlich den Daikakuji besuchen wollte, in welchem nur alle 60 Jahre die kalligrafierten Sutren den Normalos zugänglich gemacht werden. Und als ich in die Nähe des Tempels kam, fragte ich mich, ob es vielleicht einen Unfall gegeben hätte oder irgendetwas gratis zu bekommen sei: Schlangen von Bussen und Menschen überall. So war für mich klar: Da werde ich heute nicht hingehen. Schwang mich wieder aufs Rad und fuhr tatsächlich nur einige Hundert Meter weiter und stiess auf einen sagenhaft schönen, verwunschenen und einsamen Tempel. Sehr schön gepflegt, mit viel Moos und einer kleinen, aber sehr feinen Buddhahalle. Und die Kanzeon, mein Lieblingsboddhissatva im Garten war einmal mehr sehr schön… So gehe ich fast jeden Tag in einen der Tempel oder Gärten, geniesse das Umgeben sein von solcher Schönheit und Sorgfalt, einfach unglaublich! Es macht etwas mit meinem Inneren…

Natürlich hat es auch damit zu tun, dass ich eigentlich nichts tun muss, ausser Japanisch lernen und kalligrafieren. Aber das alleine ist es nicht. Ich bin überzeugt, dass es mit die Menschen verändert, wenn Orte in einer Art und Weise gepflegt werden, dass sie aussehen, als könnten sie gerade exakt nur so aussehen, weil es einfach nichts hinzuzufügen oder wegzunehmen gibt. Und alles wirkt auf mich so natürlich. Nichts von französischen bombastischen Louis XIV Anlagen, auch wenn das wieder eine andere Welt für sich ist.

Aber es sind nicht nur die beschriebenen Orte an sich, sondern auch die Wege und Strassen dorthin, die ich wie immer mit dem Rad zurücklege: Überall komme ich an alten Häuschen vorbei (und natürlich auch an neuen), vor denen Töpfe mit Bonsais oder Blumen stehen, alles natürlich im japanischen Stil. Und die in Form geschnittenen Bäume überall, die schönen Schriftzeichen und Schilder, die ich grösstenteils immer noch nicht lesen kann (auch wenn ich inzwischen vielleicht „schon“ 15% verstehe).

Was ich dieses Jahr etwas anders gemacht habe als die letzten Jahre, ist das häufigere Rumschlendern und auch mal alleine in ein Restaurant gehen. So war ich mutiger unterwegs und hatte kaum mehr das Gefühl, wie ich es die letzten Male häufiger hatte, dass ich irgendetwas falsch machen könnte. Ich war ganz einfach noch entspannter unterwegs.

Der Jetlag war dieses Mal länger andauernd. So konnte ich selten vor 1 Uhr schlafen. Aber genoss es dabei, in dieser Zeit noch mehr über Buddhismus zu lesen. Jedes Jahr erschliesst sich mir darin wieder etwas Neues. Und schlussendlich geht es ja darum, dieses alte Wissen heute in meinen Alltag zu übertragen und zu leben.

Das letzte Jahr war zeitweise schwierig und mit schmerzhaften inneren Prozessen verbunden. Und trotzdem konnte ich immer wieder den Sinn und mein mögliches Wachsen darin sehen. Auch dank der Unterstützung von FreundInnen und Hildegard. Angst und allerhand Sonstiges Loszulassen und ganz da sein, darin übe ich mich immer wieder neu. Manchmal geduldig, manchmal mit viel Kraftaufwand und dem Gefühl des Feststeckens und nicht weiter kommen… Und dann dieser Aufenthalt in Kyoto, der meiner Seele so gut tut. Wo ich mich wieder als ganz erlebe, in meiner Kraft, im Verbunden-Sein mit dem Grossen. Das ist dann wie: „Ah, endlich… es geht ja auch anders.“ Diese geschenkte Leichtigkeit, das Glücklich sein im Jetzt, das Wunder des Augenblicks! Wie oft habe ich mich danach gesehnt die letzten Monate… Und es wollte sich einfach nur schwer einstellen. Und nun ist es wieder da! Mit klarem, unverstelltem Blick den jetzigen Moment in seiner Ganzheit erleben. Die Vergänglichkeit des Lebens um mich wahrnehmen und umso mehr die Kostbarkeit des jetzigen Augenblickes geniessen und schätzen. Es gelingt mir hier öfters, diesem SEIN näher zu sein als im Alltag. Die Übung besteht darin, mich immer wieder daran zu erinnern und gerade JETZT da zu sein, wo immer ich bin. Nur das bleibt mir: gerade dieser Augenblick, jetzt.

Die Japaner hat es diesen Sommer hart getroffen: Erst diese unerträgliche Hitze und Feuchtigkeit im Juli und August, und dann, als etwas Abkühlung kam, der riesige Taifun vom 4. September, der die Gegend von Osaka, Kobe und Kyoto besonders hart getroffen hat. Solch einen Taifun gäbe es nur alle 40 Jahre, wurde mir gesagt. Ganze Waldränder wurden flachgelegt, überall umgestürzte Bäume. Auch viele der Alten im Kaiserpalast zum Beispiel fielen dem Sturm zum Opfer. Viele der Wanderwege sind immer noch unpassierbar. Die Aufräumarbeiten werden noch Monate dauern. So war ich dieses Jahr weniger in den Hügeln unterwegs. Ich habe ja immer eher am Stadtrand gewohnt und wollte es auch dieses Mal, aber ich fand nichts Passendes. Und so lernte ich auch die Vorteile kennen, wenn man so zentral wohnt. Der Supermarkt um die Ecke, die Bahnstation, wo ich Freundinnen treffen, kann gleich vor der Tür. Und trotzdem war mein Guesthaus ruhig und mit schönem Blick auf einen kleinen Tempel mit Friedhof. Was natürlich ein Muss ist, ist die Nähe zum Kamofluss. Dort kann man von Nord nach Süd radeln, picknicken, lesen, joggen, Leute beobachten, ein Bier trinken… Das ideale Naherholungsgebiet!

Das Kalligrafieren bei meiner Lehrerin war einfach auch wieder so gut! Ich liebe Kitagawasensei mit ihrer Liebenswürdigkeit, Grosszügigkeit und pädagogischem Fingerspitzengefühl. Und die gemeinsamen Abendessen mit einigen ihrer Schüler waren wie immer ein Erlebnis, auch kulinarischer Art! Meine Japanischlehrerin kenne ich nun schon drei Jahre, und sie ist einfach ein Glücksfall! Da ein grosser Bedarf an Japanischlehrern in Kyoto besteht, konnte ich nicht die ganze Zeit über bei ihr sein. Und lernte, dass es da ziemliche Unterschiede gibt.

Dieses Jahr hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich einiges mehr verstehen konnte und mir die Sprache immer flüssiger über die Lippen kommt. Es geht mit kleinen Schritten vorwärts. Und nach wie vor habe ich sehr viel Freude am Lernen! So eine komplexe und vielschichtige Sprache. Es gehen immer wieder neue Welten auf für mich.

Das Nebeneinander von Alt und Neu, Schön und Kitsch, heilig und nicht, geht hier ganz natürlich. So war zum Beispiel das Banjokonzert in einem Tempel, zu diesem ich zufällig stiess, ein solcher Anlass, den man so bei uns vermutlich kaum finden würde: Ein Japaner, der seit vielen Jahren in Tasmanien lebt, gab im sehr kleinen Rahmen ein Konzert. Ich besuchte eigentlich einen Garten und sah dann die Anschrift. In diesen Tempel hat man sonst gar keinen Zugang. Der Mönch, der dort lebt, scheint sehr offen zu sein und immer wieder mal solche Anlässe zu ermöglichen. So sassen wir etwa zu zehnt in traumhafter Kulisse in diesem Tempel: Vorne der banjospielende, amerikanisch singende Japaner, hinten der wunderschöne Innengarten mit Teich. Dazu der Mönch, der manchmal zur Musik wippte oder tanzte, Spässe machte mit dem kleinen Mädchen, das mit der Grossmutter da war. Ein Bild und Erlebnis für die Seele…

Allmählich habe ich ein kleines Netz an Bekannten in Kyoto: Yurika, die Sängerin und Freundin von Saki (die zurzeit in Deutschland studiert und darum sicher bald wieder sehe), Taka, den ich vom Pilgern her kenne, einige Leute vom Kalligrafieren und zwei Bekannte von meiner St. Galler Japanfreundin. So war es eine schöne Mischung aus alleine unterwegs sein und immer wieder mal jemanden treffen. Das Lustige war, dass die Physiotherapeutin meiner Schwester mit ihrer Partnerin ebenfalls in Kyoto war, zum ersten Mal. Und auch sie haben sich absolut in dieses Land verliebt! Das mit Menschen zu teilen, die diese Kultur schätzen und respektieren, war eine grosse Freude.

Wenn ich dich gluschtig gemacht habe, ich kann es dir als Reiseland nur wärmstens empfehlen. Nächsten Herbst werde ich wieder gehen, sofern Gott will. Und in zwei Jahren plane ich einen Aufenthalt von mehreren Monaten, sofern es von allen Stellen bewilligt wird.

Nun schicke ich euch allen ganz herzliche, glückliche Grüsse!

Monika Risse, November 2018