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Komm und sieh!

Einführungstage zu den Vertiefungswegen der via integralis

„Komm und sieh!“ – so lautet das gemeinsame Programm für die beiden spirituelle Vertiefungswege, welche in der via integralis gepflegt und angeboten werden: Der WEG der Schlüsselworte und der WEG des NADA. Das Programm wurde erstmals beim Jahrestreffen der Lehrer-Gemeinschaft im Januar 2018 vorgestellt. Im September fanden unter der Leitung von Bernhard Stappel und Hildegard Schmittfull Workshops statt, bei denen die Teilnehmenden selber „hineinschmecken“ und „erfahren“ konnten, was es damit auf sich hat. Regina Grünholz als Teilnehmerin hat für den Newsletter ein paar persönliche Eindrücke festgehalten.

Die Workshops am Nachmittag dauerten je 90 Minuten, wurden parallel geführt und einmal wiederholt. So konnten alle Teilnehmenden beide Workshops besuchen. Geboten wurde eine kurze Selbsterfahrung mit anschliessendem Austausch für beide Übungswege. In der Kürze des Setting lag die besondere Herausforderung für die beiden Leiter Hildegard Schmittfull und Bernhard Stappel. So wurde auch im Austausch explizit die Erfahrung der Verbundenheit als meditierende Gruppe hervorgehoben. Es fühlt sich eben anders an, wenn man alleine sitzt oder mit anderen zusammen. Die gesammelte Meditationskraft ist in der Gruppe stärker spürbar. In der Regel wird ein ganzer Tag oder länger über ein Schlüsselwort gesessen. Hier haben wir relativ kurz darüber gesessen und anschliessend ausgetauscht. Und doch war das Erstaunen gross, was sich in solch kurzer Zeit alles ereignen kann. Sicher: Beim Nur-Sitzen kann alles, das von innen oder aussen auf einen zukommt (Gedankenflut, Vogelgezwitscher, Husten einer Teilnehmerin) als „Störung“ wahrgenommen werden. Aber sind es Störungen oder einfach Ausformungen des aktuellen Augenblicks? Gerade sie lassen unsere Wachheit, Empfindsamkeit und Sensibilität beim Nur-Sitzen wachsen.

Die beiden Vertiefungswege der via integralis

Doch wozu überhaupt ein langer und mühsamer Übungs-WEG? Es ist doch schon alles da! Warum lassen wir uns immer wieder zurufen, „auf dem WEG zu bleiben“? Der „WEG ohne Weg“ führt in die Stille des Herzens. Und wir gestalten unser Leben aus der Verankerung in dieser Stille. Die regelmässige Einkehr bei uns selber kommt einer Übung gleich, ist Training, eine Vor-Übung für unseren Alltag. Quasi die Pflicht für die Kür des Alltags. – Und ist auch wieder nichts anderes als dieses selbst. Denn beim Reinen Sitzen bereiten wir uns, uns selbst entsinkend und ohne „etwas“ zu denken, alles Wissen und Wissen-Wollen hinter uns lassend, darauf vor, das „Ungeborene“ in uns selbst wahrzunehmen. Um es danach wieder in das Leben, in den Alltag zu übertragen. Wie könnte diese Übertragung (Transzendierung, Transformierung) denn geschehen, wenn ich nicht zuvor in der Übung mit dem Soseins im Hier und Jetzt vertraut geworden bin? Schlüsselworte oder der Weg des NADA sind lediglich Handwerkszeuge in der Begleitung von Menschen, die sich die Kontemplation zu ihrem persönlichen spirituellen Weg erkoren haben.

Der Weg der Schlüsselworte

Er ist ein Vertiefungsweg jenseits des Denkens aus dem kontemplativen Schweigen heraus geboren. Schlüsselworte sind ein Nadelöhr für neues Bewusstsein, tiefer und im Herzen weiter, auch Erleuchtung genannt. Schlüsselworte können Dreifaches offenbaren: das Heilige durch ein Heraustreten aus der Dualität, Sterben und Tod durch eine Übersteigerung desselben, Sexualität als Kreativität, wobei wir verbunden mit dem Göttlichen zu Mitschöpfern der Wirklichkeit werden. Diese biblischen Worte dienen als Mittel zur Unterweisung zwischen Lehrer und Schüler. Es geht darum, sich in die Tiefe zu arbeiten, das Schlüsselwort kann dabei auch als Sicherungsleine sowohl für den Schüler als für den Lehrer verstanden werden.

Der Weg des NADA

Das Wörtchen „Nada“ kommt aus dem Spanischen und wird gewöhnlich mit „Nichts“ übersetzt. Es ist Ausdruck für jene Wirklichkeit, die sich der Benennung oder Definition entzieht; es ist „kein Etwas“, und doch „gegenwärtig“. Der Weg des NADA ist ein alter christlicher Vertiefungsweg in der Tradition des Johannes vom Kreuz (1542-1591, spanischer Mystiker) und des Autors der „Wolke des Nichtwissens“ (ca. 1390, der Cloud-Autor hat gemäss mittelalterlichem Brauch keinen Wert gelegt auf die Überlieferung seines Namens). Im Reines Sitzen und Wacher Präsenz, im Sitzen in Versunkenheit öffnen wir uns für diese Wirklichkeit in uns. Im Zen würde man von „Shikantaza“ sprechen. Ein Sitzen in freischwebender Aufmerksamkeit. Christlich ausgedrückt: Zur Gotteinung gelangen durch eine tiefe Seinserfahrung, die das Rationale und das Personale übersteigt. Der Übungsweg des NADA kennt mehrere „Stufen“, um sich dem Geheimnis des Lebens zu nähern. Gott ist ein „Nichts“. Alle Dinge sind nichts. Es geht allein darum, sich ganz der Übung anzuvertrauen: Zazen, nur sitzen! Manchmal können wir im Zazen sehen, dass der Spiegel ganz klar ist…
Ähnlich auch der folgende Hinweis aus einem Soto-Tempel in Japan (Engl. Schrifttafel in Hosshin-ji, einem Soto-Tempel in Japan):

A tip for zazen

“The motto of the Soto school ist Shikantaza, „just sitting“ as you might know.
But this JUST is the most difficult.
You do usually too much. You do unnecessary things.
or you can say that you yourself are too much. During zazen you don`t need yourself.
If You do zazen, that is not yet zazen. Real zazen means zazen does zazen.
When you find it difficult, you can focus on your breathing.
But that doesn`t mean that you observe your breath, but you become your breath.
You should become one with your breathing.
So long as you observe your breath, you are not one with you.
When you become one with breath, the breath breathes.
Let`s try it

Am Rande notiert:

  • Ein innovativer Umgang mit der Übersetzung von „The Cloud of Unknowing“ tauchte auf: Nicht, wie üblich: „Die Wolke des Nichtwissens“ sondern: „Die Wolke des Entwissens“. Womit die Tätigkeit, die Bewegung, der Vorgang hervorgehoben wird.
  • Ein „spirituelles Tagebuch“ zu führen wurde allen Übenden ans Herz gelegt.
  • Mit Heiterkeit spürten wir dem auftauchenden Verb: „sich ereignen“ nach.
  • Danach: Welche Erfahrung des grundlosen Grundes ist die tiefere? Es ist eine Gleichheit und eine Verschiedenheit der Erfahrungen. Die via integralis versteht sich als ein Laboratorium für beide Wege, die sich auch in Zukunft weiter verändern werden.

Regina Grünholz, November 2018