Spiritueller Impuls von Norbert Kasper
Auf meinem Tisch steht ein Kerzenglas, dessen Kerze immer dann brennt, wenn ich mir eine kleine Unterbrechung mit einem Espresso gönne. Es ist ein Glasbecher von Gauloises mit dem aktuellen Werbeslogan der Zigarettenmarke. „Vive le Moment“ prangt darauf. Diese Erinnerung ist mir sehr wichtig.
Sicherlich steht Gauloises für französische Lebensart, und ich beneide die Franzosen immer wieder für ihre Art, das Leben zu genießen. Es ist aber zu bezweifeln, ob es Zigaretten ermöglichen, auf Dauer das Leben zu genießen. Das wissen wir ja alle. Und doch ist da etwas dran. Jeder, der einmal geraucht hat, weiß um die Bedeutung der Zigarette, Oft musste man die aktuelle Tätigkeit unterbrechen, um „eine rauchen zu können“. Später durfte man dann sogar eigens dafür ins Freie gehen… Ich habe diese Zeiten, am besten alleine für mich, in sehr guter Erinnerung. Da habe ich das praktiziert, was der Werbeslogan versprach: „Vive le Moment“ – „Es lebe der Augenblick“!
Ich schätze diese Erinnerung und ich lass mich von meinem Lichtglas gerne daran erinnern, wie wertvoll der Augenblick ist. Wenn ich meinen Espresso trinke, dann bin ich mal im Augenblick und ich lasse dann bewusst alles andere beiseite, ich unterbreche für den Moment.
„Vive le Moment“ bringt es auf den Punkt, auf was es ankommt. Ich meine jetzt nicht das hedonistische Genießen des Augenblicks, das gehört sicherlich auf seine Art und Weise dazu, sondern – und da gehe ich über den Werbeslogan hinaus – die spirituelle Achtsamkeit auf den Moment. Für mich wird daraus: „Lebe den Augenblick!“ Immer wieder neu, von Augenblick zu Augenblick. Jeder Moment ist kostbar, weil unwiederbringlich. In der Kontemplation erfahre ich, wo und wie ich lebe, nämlich jetzt und hier. Die Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft noch nicht da. Einzig das Jetzt ist der Ort des Lebens, die Zeit, in der ich lebe. Und so gilt die Aufforderung: Lebe im Augenblick, lebe im Jetzt.
Die alltägliche Werbung erinnert mich daran und hilft mir, das zu verwirklichen, was ich beim Sitzen einübe. Ich finde es schön, wenn der Alltag solche Überraschungen für mich bereithält. Das darf dann mal in der Kneipe das Kerzenglas oder das große Werbeplakat am Bahnsteig sein. Das ist dann Werbung für die Kontemplation und nicht für die Zigarette, die muss nun wirklich nicht (mehr) sein. Wir werden aufgefordert, dass wir den Augenblick leben. Die Zigaretten müsste ich mir auch kaufen, ohne mein Zutun geht es ja doch nicht. Werbung erinnert uns daran, dass wir aktiv werden, sie fordert uns geradezu heraus! Machen wir es also. Folgen wir diesem Werbeslogan.
In diesem Sinn: „Vive le Moment!“
Norbert Kasper, November 2018
Norbert Kasper ist Kontemplationslehrer der via integralis; Theologe und Pastoralreferent der Erzdiözese Freiburg. Er ist verantwortlich für die Seelsorge in der Autobahnkirche Baden-Baden an der Autobahn A5 Karlsruhe-Basel.